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Schlafgänger

Vor kurzem war ich in Lübeck. Obwohl mir der Norden von Natur aus fernliegt. Mein Stamm lebt seit jeher knapp unterm Main. Wir dürfen also CSU wählen. Auch wenn München fast so weit weg ist wie Hamburg. Ich glaube, wir Unterfranken haben uns nur mit Bayern abgefunden, weil das „Unter“ schmerzt. Wer will schon kniehoch leben? Und zu anderen Franken, Schwaben, Berlinern und Ostfriesen hochsehen? Nicht mal die Hessen haben eine Unter-Gegend.

 

Also geben wir den Ober-Bayer. Und kostümieren unser hessisches Straßendorf mit Geranien am schwerdunklen Balkon. Entfernt garmisch sieht das dann aus. Andernorts kriege ich für die mächtige Brüstung eine Zweiraumwohnung. Aber wer zu den Oberen gehören will, muss frei sein. Geiz zählt da nicht. Und Schinanz kann sich zuallerletzt der Hochadel leisten.

 

Aber wo war ich stehengeblieben? In Lübeck, stimmt. Vor einem prächtigen Haus mit Rosen, Lavendel und Bienengesums. Eine Reha erster Güte für die gequälten Sinne der unteren Fränkin, kann ich Euch sagen. Auch die Kölnerin würde weinen vor Glück, wenn ihr kölsches Jeföhl das zuließe.

 

Und erst die hübschen „Buden“ in den Hinterhöfen der Herrschaften. Winzige, aber echte Häuser. Eins für sich ganz allein! Wie die Schutz- und Trutzburg aus Wolldecken und Stuhlbeinen, wenn die böse Tante kam. Da wohnen jetzt glückliche Studenten, erklärt der Stadtführer. Früher, als die Stadt reich war, hausten dort die Allerärmsten unter finsteren Bedingungen. Sagt er.

 

Mit reichen Städten verhält es sich nämlich wie mit reichen Ländern. Deutschland zum Beispiel. Die Kennziffern sind hübsch: Bruttosozialprodukt, Exportquote, Produktivität, Durchschnittsgehalt. Dieses ist aber ja nur von Belang für die - sagen wir - Altenpflegerin mit fünfzehnhundert brutto, wenn der unter-durchschnittliche Kontostand am Monatsende automatisch auf normal ergänzt würde.

Die über-durchschnittliche Vergütung für unter-durchschnittliche Verantwortung bei - nennen wir sie ein bisschen billig – Bankangestellten müsste meinetwegen gar nicht gekürzt werden. Wenn es eine andere Verteilung gibt, als die von oben nach unten, soll mir das recht sein.

 

Oder wir besinnen uns auf die Vergangenheit. Das ist jetzt sowieso groß in Mode. Die Lübecker „Bude“ taucht quasi schon in hochwertigen Bildbänden auf. In Gestalt eines „Tiny House“ mit allen Schikanen. Am besten im Garten der Eltern wegen Zugang zu Wasser und Wi-Fi.

 

Eine praktische Schlafmöglichkeit von früher mit Perspektive für später könnte auch das Modell „Schlafgänger“ oder „Bettgeher“ sein. Schichtarbeiter und Versager aller Art konnten auf diese Weise für einige Stunden ein Bett von privat mieten. So eine Art airbnb für den Abschaum.

 

Man könnte natürlich auch aufs Land ziehen, ins dörfliche Unterfranken beispielsweise. Es ist schön da. Arbeitslosigkeit gleich null, günstige Mieten, jede Menge Wasser. Ein Arzt wäre allerdings gut. Und ordentliches WLan.

Damit man das Brot leichter im Netz bestellen kann.

 

Foto Susanne Gotland

 

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