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Dorfgeschichten: Foulspiel

Der Karsten von den Grosse-Huelsewiesches ist mausetot. Den Namen kann sich keiner richtig erklären. Der Wirt vom Engel behauptet, die Vorfahren hätten riesige Erbsenfelder gehabt. Die Hülse hätte damit einen Grund. Das „Wiesche“ nicht. Wiese, Rotwelsch, Worschdebrot? Weiß der Kuckuck. Es muss auf alle Fälle mit Handball zusammenhängen. Denn sie spielen alle wie die Götter, die Grosse-Huelsewiesches. Minus die Frauen, versteht sich.

 

Im Tor und auf dem Feld hat der Landkreis nie Schöneres gesehen, sagt diesmal nicht der Engel-Wirt, sondern der Totengräber. Er kennt sich aus mit der Schönheit der Leiber. Mit seinem steifen Bein ist er außerdem Fachmann für Eleganz. „Wie der schon daherkommt“, sagt er und meint damit schwere Mängel im Dasein. Auf sein Urteil kann man sich unbedingt verlassen, wenn er weint bei einer Leiche oder einem Handballspiel.

 

Der Karsten ist zu hundert Prozent ein Mann aus dem Dorf. Er gehört hierher wie praktische Schuhe. Sie hat die gleichen an. Immer, auch wenn es vor lauter Absatz nicht vorangeht. Vielleicht ist sie nur wegen der soliden Schuhe zur Polizei gegangen. Wie der Großvater zur SA, weil die ordentliche Stiefel hatten. Es gibt schlimmere Gründe. Als sie sechzehn war und gut Bescheid wusste, war es die falsche Antwort. Ein bisschen mehr anständiger Nazi hätte ihr gut gefallen. Ein Trost immerhin, dass die Juden immer schlecht wegkamen beim Großvater. Beim Vater auch.

 

Man sieht, dass der Karsten Rückraummitte war in der ersten Mannschaft. Groß, kräftig. Unerschrocken. So guckt er immer noch. Mit dem faustgroßen Loch im Kopf. Es ist kein Loch, eine blutverkrustete Delle in der Stirn ist da. Es kommt ihr nur gerade der Spruch in den Sinn „unnötig wie ein Loch im Kopf“. Sie versteht erst jetzt, was damit gemeint ist. Wie kann man nur so blödsinnig tot daliegen? Völlig unnötig. Wieder falsch, denkt sie. Für irgendjemanden muss es lebensnotwendig gewesen sein, dem Karsten den Kopf einzuschlagen.

 

Sie überlegt, ob der Totengräber weinen wird bei der Beerdigung. Denn der Karsten ist in den letzten Jahren als Trainer aus der Form gegangen. Zuletzt, mit grade mal fünfzig, war er aufgedunsen vom Suff und schwerfällig wie eine alte, traurige Wildsau. Aber weiter angriffslustig, immer auf Habacht. Ein Schreier, Krawallbruder, gelegentlich Schläger. Was seine Frau wohl denkt? Sagen wird sie Gutes. Ein ganzer Kerl und liebevoller Vater. Der Totengräber wird weinen. Wegen der alten Zeiten.

 

Foto: TV 1908 Kirchzell Ausschnitt

 

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