Die Vergangenheit hat Konjunktur. Kaum einer freut sich auf morgen. Und Übermorgen kommt sowieso nicht in Frage. Nicht mit uns! Stimmt ja auch. Die meisten von uns überzähligen Alten liegen dann massenhaft verstreut in Friedwäldern herum. Hoffentlich hat das langfristig keine negativen Auswirkungen auf den Bestand von Rot- und Damwild. Das wäre schlimm für die jagenden Doktoren der Medizin und Jurisprudenz. Wahrscheinlich sorgt aber die ungezügelte Ablagerung von verbrannten Leichen im Waldboden eher für Wirbel bei den allerkleinsten Lebewesen unterm Moos.
Die sollte man nicht unterschätzen. Ich sage nur „Darmflora“. Wer hätte noch vor kurzem gedacht, dass das eingebildete Hirn im Vergleich mit den bescheidenen Gesellen da unten einpacken kann. Über Gesundheit und Krankheit, Glück und Unglück, über Erfolg und Niederlage entscheidet das Gedärm. Das ist zwar ein bisschen eklig, aber auch eine gute Nachricht. Der Kopf wird entlastet, die Eltern sind nicht mehr an allem schuld und man kann sich ganz auf die Ernährung konzentrieren.
Und direkt mit dem Bauch denken. Das geht, ich hab´s ausprobiert. Oberflächliche Geister sprechen dabei grob vereinfacht von hungrig und satt. Sie sehen nicht die geheimnisvolle Eleganz des Binären. Eins und null. Die Zukunft.
Einfache Gemüter wie Du und ich, Politiker und Schriftsteller haben dagegen nur blöd Hunger. Appetit auf Fischstäbchen, Kaugummiautomat, Schützenfest, schlüpfrige Pfarrer und den vertuschten Mord? Nein, so nicht. Aber ich lese die wehmütigen Dorfbücher auf den Bestsellerlisten trotzdem wie ein fieberndes Kind mit Mumps, dem die Oma Senfwickel macht. Als ehemalige Katholikin bin ich außerdem sehr nachsichtig mit mir. Mit den anderen weniger.
Frisch aus dem Buch gefallen, wird mir aber trotzdem oft schlecht. Mit den Eingeweiden ist dann nichts mehr anzufangen, gedanklich. Ich versuch´s dann doch mit dem Hirn. Notfalls kann man noch das Herz dazunehmen. Das hat, glaube ich, auch eine brauchbare Flora.
In diesem Sinn wünsche ich Euch und mir ein lebhaftes neues Jahr. Und Hunger satt nach einem guten Morgen für uns alle.
Foto: Susanne Wohnung Tallinn
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Mechthild Kremer (Sonntag, 30 Dezember 2018 17:49)
Liebe Susanne, liebe Leser*innen dieses wunderbaren Blogs,
ich schließe mich den Wünschen an. Wir sollten hungrig bleiben, nach gutem ehrlichen Essen und Trinken, guter Musik, guten Filmen und Theaterstücken, guten Gesprächen und Menschen, guten Büchern und weiter so geistreichen Windbeuteln von Susanne. Danke dafür, ich freu mich auf das nächste Zuckerwerk im Neuen Jahr!
Nicolette (Freitag, 04 Januar 2019 17:24)
Danke für Deine Herzflora! Ich freue mich jetzt gestärkt auf morgen - bzw. überübermorgen, wenn das neue Jahr wieder mit seinem Alltag beginnt!
Susanne (Sonntag, 06 Januar 2019 20:19)
Liebe Freund*innen luftiger Backwaren,
vielen Dank für Eure Lust auf mal mehr und mal weniger gelungene Rezepte.
Ohne Euch würde ich nie erfahren, was bekömmlich ist oder ungut im Magen klumpt.
Viele Grüße
Susanne