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Katzentisch

Sie ist schon bei der Arbeit, wenn ich morgens an ihr vorbeifahre. Manchmal grüße ich verstohlen, schließlich kennen wir uns seit fünf Jahren. Sie grüßt zurück. Allzu vertraut will ich das aber nicht werden lassen. Nie würde ich in dem Bio-Laden einkaufen, während sie dort vor der Eingangstür Dienst schiebt. Ich müsste ihr sonst 5 EUR geben, mindestens einen für jedes Jahr. Oder 50 oder noch viel mehr.

Aber soweit kommt´s noch, dass ich mich von Bettlern unter Druck setzen lasse.

 

Sie ist vielleicht zwanzig und hat pludrige Kleider an. Alles in grau-beige. Trotzdem sieht es nach osteuropäischer Folklore aus. Wie die Frau mit den vielen Röcken auf dem Feld in der Blechtrommel, nur viel jünger. Ich nenne sie insgeheim Maria.

 

Ich bin froh, dass sie nicht kniet und Sachen murmelt. Junge Hunde hat sie auch nicht dabei. Kein Bésame mucho mit Akkordeon. Null Botschaft. Sie macht einfach ihren Job vor Basic. Steht da von morgens bis abends und hält die Hand auf.

 

Einmal sind wir uns nach der Arbeit an einer Kreuzung begegnet. Ein jugendlicher Auto-Junkie fuhr mit 100 über rot. Sie lächelte weise. Ein anderes Mal traf ich sie abends im Kaufland mit Leuten, die ihr ähnlich sahen. Sie waren müde und kauften fürs Abendessen ein.

 

Wahrscheinlich darf sie hier nicht wählen. Falls doch, käme ihr das bestimmt trotzdem nicht in den Sinn. Für welchen halb abgestorbenen Baum sollte sie auch stimmen in unserer trostlosen Parteienlandschaft?

 

Die SPD setzt immer noch auf eine Handvoll ehemaliger Zechenarbeiter, die im Nostalgienebel rumstolpern. Die CDU würde sie am liebsten zurück in irgendein Zuhause schicken und die FDP rät zu Aktienanlagen für die Alterssicherung.

 

Die AfD vielleicht? Ich unterstelle der jungen Frau einen Hang zum klassisch Familiären, in dem keiner ihrer Brüder schwul ist und jeder seinen angestammten Platz am Küchentisch hat. Oder die Linken? Für die braucht man aber schubladenweise Klassenbewusstsein und jede Menge Nachhilfe. Bis zur nächsten Wahl wird das nichts.

 

Also die Grünen. Die sollen jetzt sowieso alles richten. Sehen auch als einzige einigermaßen vital aus in der Senioren-Runde des Bundestags. Ich wünsche ihnen viel Glück und bin gespannt, was sie sich für Maria ausdenken.

 

Foto: Susanne U-Bahn New York

 

 

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