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A wie Bibel

Das Alphabet stirbt aus. Nicht nur das frohe A und das tragische O sind bedroht. Auch das lustige I und die vielen anderen, schutzlosen Buchstaben dazwischen wissen nicht mehr, wo sie hingehören. Sie werden geschubst, verlegt, missachtet. „Wo ist noch mal das K? Hinter dem M oder vor dem H?“ fragt mich die junge Frau in der Buchhandlung. Als ob das ABC ein Überraschungs-Menü wäre, das Unverträglichkeiten berücksichtigt. „Haben Sie eine Allergie gegen ZeKas? Beschwerden beim Sch wie Schule? Kommt oft vor.“

 

Ich bin empört. Und fühle mich gut. Einig mit allen anderen, die enttäuscht sind vom Versagen der Systeme. Von A wie Automobilindustrie bis Z wie Zugverkehr. Hinter jedem Buchstaben lauern Niedergang, Verfall und Stillstand. Manche Buchstaben haben es besonders schwer, scheint mir.

 

Das politische Parteiensystem fliegt uns um die Ohren und die Post stellt Briefe nur zufällig zu. Das K verhält sich widersprüchlich. Es war, unter uns, schon immer ein schwieriges Kind in der Geschwisterfolge. Von Anfang an war da Konkurrenz zum C, manchmal zusätzlich mit dem kleinen H. Vor allem in Bayern. Die Geschichte vom „Kühnen Kinesen“ wurde deshalb nie veröffentlicht.

 

Das K kann aber nichts dafür, dass das Klima kollabiert. Klar. Was den Kapitalismus völlig kalt lässt. Wahrscheinlich freut sich schon irgendwer auf den Gewinn, der in den letzten Tagen der Menschheit mit Klimaanlagen zu machen ist.

 

Und jetzt ist das Alphabet dran. Kein Wunder. Es spielt überhaupt keine Rolle bei der google-Suche nach Ventilatoren. Manchmal habe ich den Verdacht, es hat auch keine Lust mehr, als Übersetzungsmaschine für Lügen herzuhalten. Von den inneren Kämpfen im System ganz zu schweigen. Stellt Euch nur mal vor, was da so los ist zwischen S und V im Moment. Seenotrettung oder Verbrechen?

 

Misstrauisch wurde ich schon in den 60er Jahren. Es stimmt doch was nicht, wenn ein Verlag Bücher nach Farben sortiert. Damit das Drama im Regal hübsch aussieht oder was? Regenbogenfarben waren das. FlowerPower. Der Abschied vom alten System. Das mit grau im Kopf und Schlips an der Gurgel? Gut möglich.

 

Das kam mir falsch vor. Bis ich kürzlich in der Stiftsbibliothek in St. Gallen war. Prächtiger Barock mit viel religiöser Gelehrsamkeit. Die Bücher sind alphabetisch geordnet. Unter A stehen die wichtigsten Bücher: Bibeln. Titel immer gleich, Autor immer ungewiss.

 

Foto: Suhrkamp Bände

 

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Bettina (Dienstag, 30 Juli 2019 07:51)

    wunderbar liebe Schwester......

  • #2

    Rieke (Dienstag, 30 Juli 2019 07:57)

    ..... am Anfang war das Wort
    deswegen steht Bibel unter A
    was ist dann wichtig?
    Wort oder Buchstabe oder Satz

  • #3

    Jûtta mit accent circonflexe (Mittwoch, 31 Juli 2019 11:26)

    So großartig, so fein: steht noch nicht im Duden ... wird aber irgendwann unter „s“ stehen: „susannig“.
    Ich mag es „susannig“!

  • #4

    Susanne (Mittwoch, 31 Juli 2019 22:11)

    Wie schön, dass Euch das Buchstabensüppchen gefällt. Danke!
    Wichtig ist vielleicht eine gute Brille?

  • #5

    uwito (Donnerstag, 01 August 2019 22:07)

    Hallo Susanne, schon länger verfolge ich deine eloquenten Beiträge, find sie klasse und wirklich gut.
    Hab gedacht weil dir sonst meist Frauen folgen geb ich mal meinen dazu.
    Sonnige Grüße

  • #6

    Susanne (Sonntag, 04 August 2019 19:22)

    Herzlich willkommen uwito. Vielen Dank für Deine Freude an den Texten. Dass Du offenbar ein Mann bist, ist nicht so schlimm :)
    Viele Grüße Susanne