Große Oper

Gestern habe ich in später Früh ein altes Brötchen in den Müll geworfen. Das war schlimm. Nicht wegen Afrika. Sondern wegen Oma. Sie hätte gesagt: „Kind, du musst es ja nicht essen. Aber dein Opa mag Brotsuppe.“ Ich habe ein wenig geweint. Das mache ich immer, wenn ich an meine Oma denke. Unsere, genauer gesagt, aber meine auch sehr.

 

Keine Rede vom großen Krieg. Den strengen Zeigefinger hat sie kaum benutzt. Sie war überhaupt sehr sparsam mit sich. Und sehr verschwenderisch mit uns. Wie die Großherzogin Immergut hat sie alles verteilt, was sie hatte: Zeit, Zuneigung und die Kriegsversehrten-Rente vom Opa.

 

Herd und Herz wurden nie kalt bei der Elise. So hieß die Oma bei den Verwandten aus der Stadt. Die kamen auch gern auf die Eckbank in der Küche. Dann gab es Tafelspitz mit Meerrettich. Ein fliegender Händler hat den Meerrettich im Dorf verkauft. Er rief irgendwas und die Hausfrauen kamen. Das war geheimnisvoll. Und passte zur weiteren Behandlung der haarigen Stangen. Sie wurden im Hof geraspelt. Der Opa mit Taucherbrille.

 

Draußen kam späteres Essen ansonsten nur als geköpfter Hahn vor. Grillen war noch nicht in Mode. Sobald der Hahn nicht mehr wusste wohin - er konnte ja nichts sehen ohne Kopf - hat der Opa ihm stundenlang die Federn ausgerupft. Eine ziemliche Sauerei das Ganze. Nicht schön in einer fast neuen Einbauküche. Mehr Schmutz macht nur eine Hausgeburt, sagte meine Mutter. Sie wusste, wovon sie sprach. Hofgeburten sind aber bis heute unüblich, soweit ich weiß. Also in der Küche. Was will man machen, wenn’s pressiert und die Hebamme Schulden hat?

 

Wie bin ich jetzt vom Meerrettich hierhergekommen? Gedanken sind undankbare Geister. Scheren sich nicht um meinen guten Ruf. Ich wollte nur ordentlich begründen, warum kein Mensch gerne Meerrettich isst. Die Nase läuft, die Augen tränen. Eine rechte Qual, das scharfe Zeug. Zur Delikatess wird es mit Brimborium. So viel Zeit, Müh und Leid für ein Gericht, das in Geld nichts wert ist.

 

Beim Helikopter-Streichquartett von Stockhausen ist das anders. Glücklicherweise kostet es auch ordentlich was, 4 Musiker in 4 Hubschrauber zu verfrachten und am Himmel spielen zu lassen. Umso mehr bewundere ich die Kühnheit der Idee. Das habe ich nämlich von meiner Oma und vom Meerrettich fürs Leben gelernt: Ohne Verschwendung und ohne Mut kein Glück. In der Kunst nicht und auch nicht im wahren Leben.

 

Wart Ihr mal in der Oper?

 

Foto: Susanne Kirche Regensburg

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Bettina (Mittwoch, 16 Oktober 2019 18:53)

    oh wie wunderschöön,alle die "Gute Oma`s"hatten,wissen von was Du sprichst!....und
    alle,die Meerrettich mögen,oder auch nicht,wissen`s auch!Ein Hoch auf die
    Verschwendung!!!ich hab auch schon damit angefangen,tut nicht weh!

  • #2

    Susanne (Mittwoch, 16 Oktober 2019 21:36)

    Danke Dir, kleine große Schwester. Ohne Oma, Opa und Tante wären wir nicht, was wir sind. Ohne die Eltern natürlich auch nicht. So ist's, immer und überall.

  • #3

    Thomas (Mittwoch, 23 Oktober 2019 18:34)

    Das gefällt mir noch besser.....starker Text!

  • #4

    Susanne (Mittwoch, 23 Oktober 2019 20:51)

    dankschön Bruder!