Meinungsmache

Ich werde misstrauisch, wenn alle dasselbe denken. In meinem Freundeskreis sind wir zum Beispiel sehr einig in vielen Fragen. Sachertorte oder Zitronentarte, Männer mit Bart oder Tolle, Höcke oder Habeck. Das ist bequem, aber verdächtig. Demokratie lebt von der Vielfalt der Meinungen und Geschmäcker. Und wer Bescheid weiß, blendet nur die anderen Bescheidwisser aus. Da muss sich was ändern.

 

Vollends alarmiert bin ich, wenn mir einer mit Wissenschaft, Statistik oder angeblichen Naturgesetzen kommt. Kann ja sein, dass hier und da das Wasser bei 100 Grad siedet. Mein 5-Minuten-Ei koche ich trotzdem nach Gefühl. Und das täuscht sich nie. Falls doch, war bislang immer das Ei falsch.

 

Im Ernst: Die Zeiten, als wir alles einfach glauben mussten, was die Obrigkeit behauptet, sind glücklicherweise vorbei. Mir kann keiner so leicht ein X für ein U vormachen. Wenn, dann mache ich das schon selber. Schließlich bin ich eine kritische Bürgerin und kein Schlafschaf. Das ist das Wesen der Demokratie oder etwa nicht: Ich denk mir was, also bin ich wer.

 

Freddy, Mathe-Leistungskurs Ihr erinnert Euch, fällt mir da wieder ein. Er war ein bisschen pingelig bei Definitionen, in Sachen Romantik allerdings sehr beschränkt. Freddy bestand darauf, genau zu unterscheiden zwischen ahnen, fühlen, meinen, glauben, denken und wissen. Träumen kam gar nicht vor. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ durfte bei Freddy nur jemand sagen, der unfassbar viel wusste. Unglaubliches Wissen war für ihn die Voraussetzung für diese stolze Bescheidenheit. Auf keinen Fall durfte man nur wegen faul auf blöd sagen „es weiß sowieso niemand was mit Bestimmtheit, also kann man gleich irgendwas meinen“.

 

Freddy hat allerdings nie begriffen, wie Demokratie funktioniert. Es zählt ja die schlichte Mehrheitsmeinung. Völlig unabhängig von Sinn und Verstand. Nach der unerträglichen Demütigung durch einen schwarzen Präsidenten kam deshalb nur ein hirnloser Rassist in Frage. Weil der die mehrheitlich gefühlte natürliche Ordnung wiederherstellt.

 

Andererseits gehen wir nicht gern in Mehrheiten unter. Wo bleibt in der Masse mein tolles Ich? Ein Scheinriese vielleicht, aber aufsässig bis zum Amok. Und so zappen wir rastlos durch die Meinungskanäle auf der Suche nach dem Herausragenden im Allgemeinen. Zusammen mit Anderen weiß und überlegen sein, ist da kein schlechtes Angebot. Und wenn’s neuerdings gar keine Rassen mehr geben soll, denke ich erst recht, was ich will.

 

Seit ein paar Jahrhunderten scheint es, als ob sich die Erde um die Sonne dreht. Vorher haben sie lange was anderes geglaubt. Ich persönlich habe Zweifel am heute üblichen Dreh. Nehmen wir zum Beispiel Lanzarote in tiefschöner Nacht. Die Sterne glitzern, der Liebste holt sie mir vom Himmel und ich weiß hundertprozentig, dass alle Gestirne nur um mich kreisen.

 

Foto Susanne: Plaza de Armas Santiago de Chile

 

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