Sand am Meer

Es gab eine geheimnisvolle Arbeit im Dorf. Wenn einer raunte „der ist Zapfenpflücker“, nickten alle ehrfürchtig. Ich verstand nur, dass das gefährlich und gut bezahlt war. Wie Heidelbeeren sammeln, nur oben in den Bäumen, stellte ich mir vor. Ansonsten kam mir die Berufswahl so bescheuert vor wie Schiffschaukelbremser oder Kirchendiener. Wieso klettern erwachsene Männer auf Bäume und pflücken Tannenzapfen?

 

War das die waghalsige Antwort der Herren auf tänzelnde Mädchen mit Wiesensträußen? Ich habe aber nie gesehen, dass so ein Kerl der Herzdame ein Zapfenbouquet geschenkt hätte. Und es waren echte Kerle, die das machten. Schwer und bodenständig viele, keine albernen Äffchen oder gelenkigen Luftikusse.

 

Auch heute müssen sie noch hinauf, anders kommt man nicht an die Samen. Und ohne die gibt es keine Baumschule und keine Aufforstung. Die runtergefallenen Zapfen taugen nichts. Die Samen müssen grün und befruchtet sein. Das sind sie nur oben im Baum. Also rauf in 60 Meter Höhe mit dem Kirchzeller Steigeisen und anderem Gerät. Im 21. Jahrhundert! Man kann den Baum auch mit einer Schüttelmaschine traktieren. Das tut ihm aber nicht gut.

 

Bleibt mir also weg mit Spargelstechern, Perlenfischern, Tonkabohnen und dem ganzen Luxuskram. Samen sind das knappe Gut, stinknormale Samen. Wenn die Wälder weiter verdorren, werden sie noch wichtiger und noch weniger.

 

Das ist wie mit Sand. Liegt überall rum und wir auf ihm drauf. Oder guck in die Wüste. Der Sand von dort ist aber nichts für die Bauwirtschaft, zu glatt und rund für ordentlichen Beton. Sand vom Meer und aus dem Fluss ist gut. Und selten geworden. Deshalb gibt es eine Sandmafia und Taucher in Indien, die ohne Sauerstoff 15 Meter tief tauchen, um Sand zu bergen. Der Goldschatz aus dem Flussbett zur Herstellung von Betonwüsten.

 

Die einen klettern auf Bäume, die anderen tauchen in die Tiefe. Vielleicht gibt es bald auch Luftholer, Wasserträger und Sinnsucher. Sie sammeln alle wertvolles Material. Während andere hübsch Aktienpapiere horten oder Wohnungen in der Londoner Innenstadt.

 

Die gibt es wie Sand am Meer, sie säen nicht, sie ernten nicht und der liebe Gott ernährt sie doch. Bis jetzt. Der macht nämlich gerade eine Fortbildung zum Thema „Wie ich einmal in sieben Tagen sechs Fehler machte."

 

Foto Susanne: Norderney

 

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