Glück bringt uns auch nicht weiter

Dass wir Deutschen nur glücklich sind, wenn wir Probleme haben, dachte ich mir schon. Samer Tannous gibt mir recht. Zusammen mit Gerd Hachmöller, Stabstellenleiter im Landkreis Rotenburg und dort zuständig für Migration und Integration, hat er das Buch geschrieben „Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)“. Herr Tannous kam 2015 mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland. In Damaskus war er Dozent für Französische Sprache und Literatur.

 

Herr Tannous ist ein freundlicher Mensch und will möglichst schnell möglichst nicht auffallen im deutschen Land. Er sagt deshalb nicht, dass wir einen totalen Dachschaden haben. Wir hätten großen Spaß an der Lösung von Problemen. So umschreibt er höflich unsere wahnsinnige Lust an Schwierigkeiten, unsere große Freude am eigenen Unglück.

 

Mir kommt es nicht so vor, als ob wir für alles die passende Lösung suchen. Die Herstellung von Problemen scheint mir vielmehr das wichtigste Ziel. Vielleicht war es früher ja anders, mit Ottomotor, Dübel und Miele Miele sprach die Tante. Heutzutage werden Probleme doch nicht gelöst bei uns, sondern mit neuen Schwierigkeiten beantwortet. So, als ob unbedingt sichergestellt werden müsste, dass das Schlamassel auf keinen Fall ein Ende nimmt.

 

Auf Abgasnormen folgt Betrug in großem Stil, auf Mülltrennung Export von Plastikbergen, auf Klimakrise folgt Unterstützung für den Bergbau. Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, da stimmt doch was nicht. Man könnte wirklich fast meinen, Covid 19 sei eine deutsche Erfindung, nur um sich mal wieder richtig schlecht fühlen zu dürfen. Die Protestler ahnen da glaube ich einen irrwitzigen Zusammenhang und folgen doch demselben Schema. Auf die weltweite Epidemie wird ein zusätzliches Problem gepackt. Die Verschwörung, ebenfalls weltumspannend.

 

Wenn draußen in der Welt mal nichts Schlimmes los sein sollte, bleibt immer noch die kranke Seele, an der wir rumfuhrwerken können. Wir schauen nach innen, sehen schwarz und mühen uns dann mit den richtigen Methoden ab. Oder wir nehmen unseren Körper. Da gibt’s auch immer herrliche Probleme, eine sehr verlässliche Quelle für Malheur ist unser Leib. Und die Behandlung glücklicherweise auch oft.

 

Herr Tannous findet es übrigens auch bemerkenswert, dass 60-jährige Deutsche unbedingt Marathon laufen wollen. Dass wohlhabende 70-Jährige ins Büro fahren, statt daheim den Enkeln die Haare zu kraulen. Dass ohne Termin nie einer Zeit hat. Und dass der Nachbar nur „danke und tschüss“ sagt, wenn er sich das Paket von Amazon bei ihm abholt.

 

Aber es heißt ja, glückliche Menschen bringen die Welt nicht voran.

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Eine Freundin (Samstag, 01 August 2020 20:06)

    Sensationell toller Text!!

  • #2

    Jutta (Sonntag, 02 August 2020 09:51)

    Nachdenkenswerter Blickwinkel auf meine bisher gedachte Qualität, gut Lösungen zu finden.

  • #3

    Helga (Sonntag, 02 August 2020 10:46)

    wow kann ich da nur sagen, total auf den Punkt gebracht.

  • #4

    Susanne (Sonntag, 02 August 2020 20:54)

    Herzlichen Dank! Es ist verrückt, wie schlecht ich einschätzen kann, was Euch gefällt. Oder ein gutes Zeichen.

  • #5

    Thomas (Freitag, 07 August 2020 18:36)

    Hi Susanne,
    sehr lesenswerte Abhandlung wie immer, Susanne! .....Süß, sehr süß finde ich das alte Foto von Heiner, Elise und Doris und mit Dir .... vor gefühlt 50 Jahren....
    Schmatzi