Sperrmüll

 

Gegenstände sind hinterlistig. Sie stehen herum, tun unschuldig und sind von vorne bis hinten gegen dich. Aber mir können sie nichts vormachen. Hinter den 40 Regalmetern Gurken im Glas stecken Vorwurf und Rührung in Essigessenz. Grobe Bollen, elegante Scheiben, lustige Sticksis und überkandidelte Cornischönchen. Am Ende wollen sie dir immer was erzählen. Wo du doch gar keinen Platz mehr hast dafür. Zeit ok. Aber immer diese Geschichten im durchsichtigen Weckgut. Von wegen gut. Wer will schon ständig aufgeschreckt werden?

Großvater gefielen die krummen Kerle. Die würzig Echten. Nicht Spreewald mit DDR. Wald haben die doch gar keinen. Nur stinkende Braunkohle und sogenannte Flüsse in gelb. Unsere schöne Steinkohle dagegen mit Loreley ums Eck. 

Mutter hätte die längs Geschnittenen genommen. Sie ging aufrecht, war größer als der Mann und stolz auf die schlanken Beine. Außerdem sind die Länglichen süß. Wir sind doch nicht im Krieg. Und der Zucker kann mich mal. 

Für Tantchen wären die Kleinen gut gewesen. Hart im Geschmack und keiner merkt, wie’s weniger wird im Glas. Ich nehm noch so `ne Kleinigkeit. Nach Frankreich wär ich auch mal gefahren, wenn.

Oma Elise die Große hätte alles gesehen und alles gewusst. „Ach ihr“ hätte sie gesagt und was gedacht, das nie rauskam. 

Fast hätte ich den Vater vergessen in Sachen Gurke. Er mochte, was er kannte. War früh im Widerstand gegen Pizza und Gyros. Warum Bayern München falsch war, weiß ich nicht. Vielleicht, weil der Maier Sepp lustige lange kurze Hosen anhatte. Das Leben ist aber kein Zuckerschlecken. Gurken müssen sauer sein. Dass man sie kaum runterkriegt und niesen muss und husten. Hat ihn wahrscheinlich an was erinnert. Was Schlimmes muss es gewesen sein, das ist immer am schönsten. Die schönen schlimmen Sachen von früher. Und die von jetzt gleich mit. 

 

40 Meter Gurken-Geschichten sind aber nichts gegen das Zeug bei mir im Flur. Nach zig Monaten mit diesem Corona-Mist. Schraubgläser haben’s gut im Vergleich. Sie stehen fein geordnet auf den Regalbrettern. Stramm in Reihe nach Größe, Sorte, Firma. In allen Sprachen etikettiert und eindeutig bepreist. Es raunt zwar wie auf dem Straßenstrich: na? Lust auf Dill? Lieber exotisch mit Curry? Wir kennen uns doch?

Aber du kannst die grüne Pickelarmee wenigstens links stehen lassen und dafür den hilflosen Joghurt retten, der sich an die Kühlwand schämt, damit keiner das verfallene MHD sieht. 

Bei dem Haufen in meinem Flur dagegen keine Schangs. Komme kaum rein zur Tür, raus ist noch schwieriger. Das war nicht immer so. Bis vor kurzem gab’s einen bequemen Pfad rechts vorbei. Mindestens für durchschnittlichen Body Mass Index. Kein Kontakt mit dem Schmuddel. Wegsehen ging auch lange.

Alles vorbei. Entweder am Küchentisch sitzen bleiben oder ein letztes Mal durchzwängen und neue Wohnung. Schwierig. Der Berg muss weg. Verbrennen wär gut, aber es sind Bücher dabei. Feuer in der Wohnung geht nicht. Wär ich ein Mann, hätt ich Lagerfeuer gelernt und Grill löschen mit Bier.  Also nach Art der Frauen. Stück für Stück. Prüfen, passt nicht, wech. Es sind aber auch Essenssachen drunter. Dass die nicht schlecht werden? Komisch.

Reibekuchen zum Beispiel. Kross und ölig, wie frisch gebacken von der Vater-Oma. Sie war derb und konnte Anfassen nicht gut dosieren. Patschte ungelenk auf den Köpfen herum und gab damit ihr Bestes. Das wussten wir. Sie selber wusste am Ende gar nichts mehr. Oder alles, aber nur für sich im Geheimen. Gepfiffen hat sie manchmal. Kirchenlieder. Ist ja egal womit auf was gepfiffen wird.

Ein Fläschchen Uralt Lavendel in dunkelgrün. Der Großvater war Schneider und hatte einen Wald-Fimmel. Rotwild, Damwild, Schwarzwild. Brunft war für ihn wie Mahler acht für Klassik-Freaks. Viel zu viel Krieg. Dem war nur mit Grün beizukommen. Deshalb wurde alles grün gekauft oder gestrichen, Autos, Fensterläden, Turnschuhe. Oliv nannte er das.

Einen verkohlten Rand Reibekuchen hebe ich auf und ein Tröpfchen Uralt Lavendel. Den anderen Quatsch werfe ich weg. Was soll ich mit dem Golf Diesel ohne Servo, dem gehäkelten Lampenschirm und ein paar Büchern in blau. Der Mann von damals muss auch noch entsorgt werden. Schaut nicht mehr gut aus. Hängt halb noch im Auto, fingert nach dem Platz im Leben und schaut schwer her.

Außerdem fängt der Kram jetzt doch an zu stinken. Schimmel. Total ungesund in geschlossenen Räumen. Außer er ist extra dran am Käse. Regalweise gibt’s die grünlichen Stinker im Kaufland. Mild, scharf, Bayern, Frankreich. Italien. Meterware Geschichten.

 

Foto Susanne

 

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