Bedeutsamer Tatbestand

 

Seit 18 Monaten kümmert sich I. Müller-Ramsess um mich. Der Name ist geändert, aber eigentlich derselbe. I. Müller-Ramsess ist ein maximal gendergerechter Name. Völlig ungewiss, ob Mann oder Frau, was dazwischen oder was daneben. Die Person heißt der Einfachheit halber im Folgenden IM. Ich sage die Person und nicht der Mensch, damit sich nicht schon wieder ein Kerl vor Euer inneres Auge drängt. In meinem Dialekt gibt es auch DAS Mensch. Gemeint ist eine unverschämte Frauensperson. Ihr männliches Gegenstück ist ein Hallodri. Süß, gell?

 

IM ist bei der Deutschen Rentenversicherung. Sie sucht nach versicherungsrechtlich bedeutsamen Tatbeständen in meinem Leben. Ich auch. Am liebsten würde ich was Hübsches erfinden. Oder was Ordentliches. Nicht hübsch, aber ordentlich wäre zum Beispiel eine Beamtenlaufbahn.

 

Letztens habe ich sogar davon geträumt. Ich war Leiterin einer Justizvollzugsanstalt. Natürlich war ich super nett. Deswegen haben die Häftlinge in der Unterwelt irre viel Geld gesammelt. Zu meinem sechzigsten Geburtstag haben sie mir das dann als Rente geschenkt. Wie hoch der Betrag war, weiß ich nicht mehr. Aber geweint habe ich. Stundenlang schluchzend am Fenster gestanden. Die Verbrecher haben hochgewinkt. Wir waren glücklich. Und die Sonne ging toll unter hinterm Stacheldraht. Zuhause habe ich dann alle Urlaubsbilder mit Sonnenuntergang gelöscht.

 

Als Knastchefin wäre ich wahrscheinlich über die höchste denkbare Rente in der bundesdeutschen Republik gekommen. Das sind ausgedachte 3000 EUR. Die kriegt bloß keiner und keine schon gar nicht. Weil niemand vom Lehrling an ein Höchstgehalt bekommt. Nicht mal die ganz schlimmen Großverdiener in Anstalten, die aus irgendeinem Grund Finanzdienstleister heißen, kriegen das vom Staat.  

 

„Wer 2019 im Westen in Rente ging, erhält als Rentner 1.140 Euro Altersrente und als Rentnerin 728 Euro.“ Durchschnittlich. Abzüglich Einkommensteuer. (www.vermoegenszentrum.de)

 

Man kann natürlich auch was auf die Seite bringen und da wo hinlegen. Genau. So sagt man neuerdings vor einem Satz, in dem genau nichts geklärt wird. Eine neue Miele ist jedenfalls bei mir immer drin. Überteuerte Schuhe gehen auch ab und zu. Nur ab 70 könnte es insgesamt eng werden. Deshalb rauche ich jetzt verstärkt. Du kannst Dir auch Bücher zu Aktienanlagen leihen. Du, ich nicht. Phobie gegen Sachbücher. Phobie gegen Leihbücher. Die Qualität einer Demokratie bemisst sich am Verhalten gegenüber Minderheiten. Genau.

 

Im Moment fragt IM aber nicht nach meinem Bargeld im Gewürzregal oben links. IM will wissen, ob ich 1983 einen Fernkurs Spanisch in Spanien gemacht habe. Einen Fernkurs. 1983. Ein Jahr vor 1984. Ich stelle mir vor, IM ist seit 18 Monaten im Homeoffice und zoomt auf Teufel komm raus. Die Tochter ist gestern 14 geworden. IM hat ihr ein Sparbuch geschenkt. Die Tochter findet IM peinlich und die Welt verbesserungswürdig.

 

Foto: Susanne

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Bettina (Freitag, 22 Oktober 2021 22:36)

    Sehr lustig...wenn auch ernstes Thema