Körperwelten

 

Man stelle sich vor, Peter Altmaier hätte bei seiner Antrittsrede als Bundesminister für Wirtschaft und Energie so angefangen: Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen, dass einer wie ich, Sohn einer Krankenschwester und eines Bergmanns, dass einer wie ich, lassen Sie mich offen sprechen, dass so einer wie ich, von der Natur sagen wir unfreundlich ausgestattet, dass einer wie ich, sportliche Statur Fehlanzeige,

 

dass so ein katholischer Saarländer, ohne ordentliche Familie, Kinder auch nicht, nein, leider, dass so einer wie ich dieses verantwortungsvolle Amt übernehmen darf. Deshalb werde ich mit aller Kraft für soziale Gerechtigkeit eintreten, für Diversität im politischen Leben kämpfen und  – jawohl -  aufrecht gegen Bodyshaming vorgehen.

 

Nicht auszudenken, was Bild, Partei, Twitter und Co. mit diesem Bekenntnis angestellt hätten.

 

So was geht nur bei den Grünen gut. Ricarda Lang ist frisch gebacken im Parteivorstand und bedankt sich höchst privat. Mit Hinweisen auf ihre Herkunft, auf innere Vorlieben und äußere Merkmale. Ist das mit Identitätspolitik gemeint? Ich komme bei manchen Entwicklungen nicht mehr gut hinterher. Das Alter, die Knie.

 

Bin stehen geblieben vor 50 Jahren. Damals ist das Private ausgesprochen politisch geworden. Insgeheim war das immer schon so, klar. Es sind schließlich nicht Galileis Fallgesetze, nach denen Frauen dämlich in der Gegend herumstöckeln. Und Madame Curie hat nie behauptet, dass zwischen Tilly und Lenor einfach die Chemie stimmt.

 

Leider kommt das Private nur in die Politik, wenn es öffentlich wird. Das geniert einen. Mich auch. Geschichten von Schlachten in Küche und Kemenate. Wer will das sehen? Normalerweise schalte ich dann um auf Tier. Affen und Löwen sind zwar auch nicht ohne. So als Paar oder in Gruppe. Aber wenn die aufeinander losgehen und sich auffressen, ist es nicht so schlimm irgendwie. Was hab ich schließlich mit der Serengeti zu tun?

 

Andererseits ist nicht alles automatisch politisch, was einem persönlich wichtig vorkommt. Das Spiegelei auf Insta, das getwitterte Gedicht zum Muttertag. Die jüngste Sichtung von Ufos im Stadtgarten. Beziehungsweise in Telegram. Da weiß ich echt nicht so genau.

 

Falls es so was wie Gesellschaft geben sollte und eine Weltgemeinschaft, also wir alle, mit unterschiedlicher Kinderstube, Aussteuer und Testament, mit Oma gut und Lehrer böse, mit Wunschzettel, Landtagswahl und Traumhaus, mit Fischstäbchen und Linsenaufstrich, mit keinem Tannenbaum, oh, der Käfer,

 

mit auch der großen weiten Welt, dem Meer und der Wüste, da weiß ich nicht, ich weiß es einfach nicht, was ich sagen soll, wenn das Kind im Park auf meine Glatze zeigt und ruft: Du hast aber eine kleine Frisur.

 

Ein Kind, ok. Beleidigt bin ich doch. Ein wunder Punkt, ääh Fläche, meine Platte. Aber ist mein kahler Kopf wichtig? Schon, bin außerdem nicht der Einzige. Und mal nicht eingestellt worden deswegen. Der Konkurrent hatte Haare wie Beethoven als Statue. Die Konkurrentin auch. Aber das ist wieder was anderes. 

 

Foto Elaine Humphries: Plakat in Marseille

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Arne (Donnerstag, 03 Februar 2022 21:32)

    Wir sehen uns so gerne selbst an der Spitze der Evolution - als ihre logische Konsequenz - und laufen ihr doch an vielen Stellen hinterher. Würden wir uns ansonsten so sehr strecken nach der Decke, die unsere (vermeintlichen) Makel verdeckt und mit vielleicht noch größerer Lust versuchen, eben diese Decke bei den (vermeintlich) Makellosen wegzuziehen, um sie "gewöhnlicher", also uns ähnlicher zu machen?
    Wäre unser Geist tatsächlich in der Evolution so weit gekommen, wie wir es für uns in Anspruch nehmen, dann würden wir in all den Menschen um uns herum vor allem eines erkennen: den unendlichen Reichtum der Vielfalt, der uns die Hoffnung geben darf, dass wir aus den Sackgassen unserer selbst gewählten Evolution doch noch einen Ausweg finden.
    Danke Susanne, für dieses sprachliche amuse gueule :-)

  • #2

    Jutta (Freitag, 04 Februar 2022 08:39)

    Backwerk von der leckersten Sorte!! :)