Dies ist keine Pfeife

 

René Magritte hat natürlich recht. Das Gemälde kann allerhöchstens eine Vorstellung des Künstlers von einer Pfeife abbilden.

 

Aber was genau ist eine echte Pfeife im wirklichen Leben? Ein unschuldiger Gegenstand aus einem geeigneten Material zur Einatmung der Dämpfe von verbranntem Tabak? Oder ist die Pfeife nicht eher ein Werkzeug zur Lebensverkürzung? Oder nur eine bösartige Erfindung der Tabakindustrie, um unanständige Gewinne zu machen?

 

Ich befürchte, nicht mal der Hocker, auf dem ich sitze, ist ein eindeutig Ding. Ergonomisch ist das Teil jedenfalls die reine Hölle, sagt zum Beispiel meine Krankengymnastin. Aber ich hänge an dem Hocker. Er stand in der Werkstatt des Großvaters. Der hat selber die Nägel ins Holz getrieben. Und sich verletzt dabei. War ja Schneider und kein Zimmermann.

 

Am sogenannten Westen hänge ich auch, muss ich sagen. An USA, EU, vielleicht sogar der NATO. Bislang Garanten für mein kleines Leben in Demokratie und Freiheit. Sogar kritisieren darf ich den Westen. Kann Wörter sagen wie Imperialismus und Kapitalismus, Heuchelei und Scheinheiligkeit. Und keiner klingelt mich morgens um fünf raus zum Verhör.

 

Von den Nazis haben sie uns auch befreit, die USA und andere Westler. Na gut, nicht ganz allein. Die Rote Armee war schon auch dabei. Leider haben die Sowjets da in ihrem Osten keinen guten Weg genommen. Jetzt sind sie sogar wieder zu Russen geworden wie ganz ganz früher.

 

Und bilden sich was ein. Nur wegen damals. Dabei gehört zum jüngeren Damals auch das Ende der Sowjetunion 1990. Endgültig besiegt vom Westen. Bestochen durch günstige Bananen, Urlaub in Antalya und freien Zugang zu Rolex. Für manche wenigstens.

 

Nur blöd, dass Russland damit nicht verschwunden ist von der Bildfläche. Und die Russen auch nicht. Die sind Menschen wie Du und ich, nehme ich an. Sie wollen in Frieden ihr kleines Leben leben, auf irgendwas stolz sein, mit der Vergangenheit klarkommen und sich auf was in der Zukunft freuen.

 

Und dann schauen sie auf den glorreichen Westen und suchen nach Frieden, Völkerverständigung und Moral. Das bedeutet der Westen schließlich. Kann man überall nachlesen. Das ist so einfach wie das mit dem Stuhl. Kann man sich draufsetzen.

 

Allerdings war auch mal zu lesen vom Einsatz der NATO im Kosovokrieg 1998. Ohne UNO-Mandat. Vom völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA im Irak 2003 wegen eines angeblich bevorstehenden Angriffs auf die USA mit Massenvernichtungswaffen. Ohne UNO-Mandat.

 

 

Die Russen haben bestimmt auch davon gehört, was Hans-Dietrich Genscher 1990 sagte:

 

"Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen."

 

(Aus einem Vortrag in der Akademie Tutzing vom 31. Januar 1990. Hans-Dieter Heumann: Hans-Dietrich Genscher. Die Biografie. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77037-0, S. 280.)

 

Vielleicht haben sie auch gelesen, was der US-Politiker Pat Buchanan 1999 schrieb:

 

„Indem wir die NATO in den Vorgarten Russlands verschieben, treten wir die Konfrontation des 21. Jahrhunderts los. .... Wenn der wachsende Unmut in Russland dazu führt, dass Jelzin durch einen antiamerikanischen Nationalisten ersetzt wird, dann liegt die volle Schuld bei einer hochmütigen US-Elite, die ihr Bestes getan hat, um Russland zu demütigen.“

 

(Patrick J. Buchanan: A republic, not an empire : reclaiming America's destiny. Washington, DC : Regnery Pub. ; Lanham, MD : Distributed to the trade by National Book Network, 1999, ISBN 978-0-89526-272-1, S. 36 (archive.org [abgerufen am 23. März 2022]))

 

 

Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat ein Phasenmodell der Eskalation entwickelt. In den ersten Phasen lässt sich demnach noch deeskalierend eingreifen. Wenn die Beteiligten das wollen.

 

Aber jetzt sterben Menschen. Auf beiden Seiten gibt es nur noch Nazis, Schurken, Faschisten, Kriegsverbrecher und Verrückte. Was damit genau gemeint sein soll, schert niemanden mehr. Total egal, ob das eine Pfeife sein soll. Ich sage, das ist eine Angriffswaffe. Herzlich willkommen in Babylon.

 

Der Schriftsteller Maxim Biller kündigt in der letzten Ausgabe der ZEIT an, dass er aufhört zu schreiben. Die vielen Worte hätten doch alle keinen Sinn. Vielleicht hat er recht.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Thomas (Montag, 28 März 2022 17:13)

    Sehr guter, starker Tobak..... Susanne!

  • #2

    Carsten (Montag, 28 März 2022 18:18)

    Maxim Biller mag desillusioniert sein ... Aber Worte haben Kraft, immer noch.
    GsD

  • #3

    Susanne (Montag, 28 März 2022 23:05)

    Ach Ihr Lieben, ich würde so gerne zu den ganz und gar großen Guten gehören.
    Wie wahrscheinlich alle Menschen in allen Ländern.