Die Uhr war der Anfang. Die Uhr am Eingang zum Bahnhof in Köln. 3 Meter hoch ist sie. Hängt da seit 1957. Irgendwann ist sie stehen geblieben. So um 2015 meine ich. Nein, es muss früher gewesen sein. Noch vor der so genannten Silvesternacht. Und vor der Besetzung der Krim. Daran denke ich aber erst seit diesem Februar. Seit wir zum Krieg dazugehören. Vorher war 2014 nur der 80. Geburtstag von Tante Anna.
Ich glaube, es war damals kurz nach zwölf auf der schönen Uhr. Ein echtes Designer-Stück. Fast unmöglich, Ersatzteile zu beschaffen. Deshalb blieb der Zeiger stehen, wo er war. Jahrelang. Das weiß ich genau. Weil ich mich so aufgeregt habe. Jahrelang. Dass eine Firma, die mit Pünktlichkeit handelt, ganz aussteigt aus der Zeitmessung. Das ist wie Werbung für ein Violinkonzert mit gerissenen Saiten.
Oder es war cooles Marketing. Ein visionärer Geist bei der Deutschen Bahn hat uns darauf vorbereitet, dass es bald keinen gültigen Fahrplan mehr geben wird. Vielleicht war alles sogar Absicht. Wer weiß das schon. Ein großer Plan. Geheime Pläne von irgendwem für alles Mögliche ist Mode im Moment. Tatsache.
Tatsache ist, dass alles für was gut ist. Das weiß ich von meiner Oma. Auch wenn das manchmal so schwierig zu begreifen ist, wie Gottes unergründlichen Wege. Wofür könnte der Kollaps der Deutschen Bahn also gut sein? Oder der gesamten Mobilität im Lande. Weil das mit dem Auto ja auch nicht mehr hinhaut. Schon lange, schon lange vor Krieg und Ölkrise rumpeln wir über marode Brücken allerhöchstens auf den Untergang zu. Aber klimatisiert. Das da draußen ist nämlich gar kein Klima mehr, kein verträgliches jedenfalls.
Was und wem nützt es, wenn Kollegen aus Köln wegziehen, weil sie hier die Miete nicht bezahlen können. Womöglich bringt das die Digitalisierung auf dem Land in Gang? Dass der Lehrermangel den Kindern zugutekommt, ist auch noch nicht abschließend erwiesen. Aber wer weiß. Vielleicht stärkt das die Widerstandskräfte der Kleinen. Resilienz ist ja in aller Munde. Spätestens beim ersten Rentenbescheid müssen sie hart im Nehmen sein. Mal ganz abgesehen davon, was alles im Pflegeheim noch so kommt.
Ist das Gute womöglich Energie für uns alle? Die wird ja angeblich in jeder Krise freigesetzt. Und Energie geht nie verloren. Verwandelt sich nur in dieses oder jenes, das Miststück. Und ist nicht immer gleich gut. Aus dem vergeblichen Geschacker jeden Tag ist zum Beispiel eine sagenhafte Nostalgie entstanden. Echt mächtig das Ding. Der Blick zurück in fantasierte Zeiten, wo „unbeugsame Mannhaftigkeit“* für ein gedeihliches Miteinander aller auf dem blutgetränkten Boden unserer Ahnen sorgte. Als es noch keine Ahn:innen gab. Höchstens Urmütter.
Harmloser ist da natürlich das wehmütige Konzert der Bläck Flööss am Kölner Dom gestern Abend. Die Kapelle ist 52 Jahre alt. Der achtzigjährige Bassist ist wegen Ansteckungsgefahr nicht dabei. Sie singen alte Lieder. Vom Zusammenhalten, von der Kaffeebud, vom Stammbaum, von der Liebe, auch von der kölschen Affenliebe zu sich selbst. Drumherum die Baustelle vom Domhotel, das Abrissgelände des WDR-Gebäudes und das Römisch-Germanische Museum. Das ist vor 5 Jahren vom TÜV dicht gemacht worden. Seither ist nichts passiert.
Kein ernstzunehmender Regisseur würde sich trauen, so eine Szenerie auf die Bühne zu bringen. Aber so ist es. In echt. Dabei lasse ich die grölenden Junggesellen weg. Und die verwirrten Touristengruppen. Die nicht wissen, wie ihnen geschieht zwischen Rhein und Dom.
So ist das mit der Energie. Man kann sie so oder so nutzen. Könnte man nicht die toten Fische in der Oder nutzen? Verheizen wär schön.
Weil sie ja nicht vergeht die Energie. Insofern sind tote Fische unsterblich. Lebende Maikäfer auch. Und wir ebenso, irgendwie. Das ist die gute Nachricht.
(*Putin, Trump hätt’s auch sagen können)
Foto: Susanne
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Bettina (Samstag, 20 August 2022 16:30)
Toll Susanne�
Elaine (Mittwoch, 24 August 2022 14:57)
Hat mir sehr gut gefallen: vom Stil und auch Inhalt.
Susanne (Donnerstag, 25 August 2022 11:48)
Das freut mich sehr, Ihr Lieben :)