Äpfel und Birnen

Beim Friseur ist es furchtbar. Immer. Auch wenn es meistens eine Friseurin ist. Oder weil. Sie ist normalerweise jung und hübsch hergerichtet. Das ist an sich nicht schlimm. Nur die langen Fingernägel. Durch die Handschuhe durch ist das ein Krallen und Stickseln, dass man ohnmächtig wird. Sind wir hier auf der Jagd nach Läusen? Oder soll das die berühmte Massage sein? Freundinnen schwärmen. Würden am liebsten jede Woche. Ich nicht.

 

Aber der Haaransatz. Lass doch ganz weiß. Sieht toll aus. Mit ein bisschen Lippenstift und einer wilden Brille ist das total apart. Eben, abwegig ist das. Schon vor 10 Jahren sagte die Nachbarin, meine Mutter sei wohl zu Besuch. Es war eine Freundin, kein Fältchen nirgends. Apart mit Lippenstift und einer wilden Brille. Schönste Pracht in weiß.

 

Im Salon herrschen Sätze mit Du und schwer beschleunigte Cover-Hits. Außerdem Urlaub, Hochzeit und sensationelle Mixturen. Durch die Bank total sanfte Naturprodukte. Dieses Mal aber auch Bürgergeld, Politiker und Fremde. Die Musik war nicht laut genug.

 

Bürgergeld zu hoch. Politiker Betrüger. Fremde auch. Nur ohne Pension. Friseurgehalt ein Witz. Das stimmt. 1800 EUR brutto bekommt durchschnittlich eine Friseurin pro Monat. Das sind 1350 netto bei Steuerklasse 1. (1) Davon kann man locker eine 30 m2 Wohnung in Köln bezahlen. Dazu das bisschen Essen, Klamotten, Zahnersatz und eine Woche Antalya. Säße ich am Stammtisch, würde ich sagen: solang’s für die Nägel reicht.

 

Am liebsten säße ich beim Zahnarzt. Dann könnte ich nicht sprechen. Müsste nicht sagen, dass sie fast 200 Eur mehr hat als der mit Bürgergeld. Könnte auch nicht sagen, dass schon 2015 die geschätzte Steuerhinterziehung bei 125 Milliarden lag. (2) Dazu gehören großflächig in Oasen verschobene Kapitalvermögen genauso wie die massenhaften Tricksereien beim kleinen Bürger. Während für das Bürgergeld 2023 nur 26 Milliarden ausgegeben wurden. (3) Also ca. ein Fünftel. Das könnte ich nicht sagen, weil diese Zahlen nie parat sind. Deswegen ist’s ja am Stammtisch so schön.

 

Wo also genau die „Totalverweigerung“ zu finden ist, müsste erstmal ordentlich ermittelt werden. Und da sind die echten Betrugsfälle wie die Maskenbeschaffung oder der Missbrauch von Kurzarbeitergeld während Corona nicht mal mitgemeint.

 

Aber man soll ja nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Faulenzer mit Leistungsträgern, Hauptschülerinnen mit Akademikern, denen das Jura-Studium von den Anwaltseltern finanziert wurde.

 

Auch nicht das durchschnittliche Ruhegeld von Beamten: 3170 brutto (2022) mit der durchschnittlichen Rente: 1600 brutto (2021). (4) Das wäre irgendwie ungerecht und führt bloß zu hässlichen Neiddebatten.

 

Und jetzt vergessen wir die ganzen blöden Zahlen schnell wieder und besinnen uns auf die wesentlichen Spaltungsthemen in der Republik: Gendersternchen, Cannabislegalisierung, Migration und das absurde Klimatheater der Grünen.

 

Ich gebe viel Trinkgeld. Als Dank für die Suche nach den Zahlen. Und gegen mein schlechtes Gewissen.

 

 

 

(1)    https://www.steuerklassen.com/gehalt/friseur/

(2)    https://de.statista.com/infografik/16785/hoehe-der-hinterzogenen-steuern-in-den-eu-staaten/

(3)    https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-11/sozialleistungen-kosten-buergergeld-inflation-wirtschaft

(4)    https://www.americanexpress.com/de-de/kampagnen/guide/wirtschaftswissen/pension-deutschland-4111

 

Foto: Susanne

 

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Kommentare: 8
  • #1

    Nicolette (Sonntag, 21 April 2024 16:24)

    Wieder so ein super Text, Susanne!
    Das sollten einfach mehr Menschen lesen können. Hast Du sie schon allen interessanten Zeitungen und Magazinen angeboten? Ich finde, das musst Du tun, du bist ja nicht beim Zahnarzt...
    Liebe Grüße!

  • #2

    Bettina (Sonntag, 21 April 2024 16:37)

    Topp Susanne!

  • #3

    Mechthild (Sonntag, 21 April 2024 17:57)

    Ich finde deine Texte sollten sowohl beim Friseur als auch beim Zahnarzt ausliegen, statt Gala und Co. Wäre ein Gewinn für jeden Besuch.

  • #4

    Elaine (Sonntag, 21 April 2024 19:51)

    Lippenstift, aparte Brille und weisse Pracht kommt mir bekannt vor ;-)

  • #5

    Carsten (Montag, 22 April 2024 17:20)

    genialer Text, wie fast immer ... ;-)

  • #6

    Arne (Dienstag, 23 April 2024 10:47)

    Liebe Susanne, bittere Wahrheiten literarisch meisterlich auf den Punkt gebracht. Danke!

  • #7

    Susanne (Dienstag, 23 April 2024 14:06)

    Was freue ich mich über Euren Zuspruch, vielen herzlichen Dank!
    Ich kann nicht immer gut einschätzen, was ich so vor mich hin schwadroniere ;)
    Liebe Grüße Susanne

  • #8

    Theresia (Mittwoch, 24 April 2024 10:19)

    Beim nächsten Stammtisch sind wir präpariert! Beeindruckender Text!