Bomberos sólo

Früher wollte ich manchmal woanders sein. Nicht im blöden Deutschland. Langweilige Ausflüge am Sonntag statt Lassie im Fernsehen. Der Hund wohnte auch auf dem Land. Aber mit Abenteuern jeden Tag. Und das Haus von dem Lassie seiner Familie war toll. Die Fenster wurden von unten nach oben aufgeschoben! Von unten nach oben. Aufgeschoben! Keine Rollläden. Wenn die Rollläden am Sonntag bei uns daheim unten waren, wusste der Pfarrer, dass es wieder nichts war mit der heiligen Messe.

 

Der Hund war in Wahrheit ein Hundemädchen. So heißt „Lassie“ ungefähr auf Deutsch. Womöglich war sie sogar eine Mittvierzigerin oder Oma. Aber das ist irgendwie ein unschicklicher Gedanke. Die Wahrheit hatte es schon damals schwer. Auch Damen unter den Hunden? Das klingt wie „auch Deutsche unter den Opfern“.

 

Ernsthaft auswandern kam andererseits auch nicht in Frage. Wohin, mit wem, wozu? In Australien schmelzen die Kerzen an Weihnachten. Eine brauchbare Fachkraft für die örtliche Wirtschaft bin ich als Expertin für Bücher auch nicht. Die hätten mich womöglich an der Grenze abgewiesen und stattdessen auf die Weihnachtsinsel gebracht.

 

Dort wäre ich eine Zeitlang in Einwanderungshaft gehalten und dann in den bayrischen Odenwald abgeschoben worden. Weil keine Ingenieurin und kein Asylgrund. Sogar Teufelsaustreibungen gibt es im Landkreis nicht mehr. 1976 war die letzte. Zwei römisch-katholische Priester hatten insgesamt 67-mal den großen Exorzismus an einer jungen Frau vollzogen. (Wikipedia)

 

Ob mich ein echt fremdes Land wie – sagen wir - der Sudan aufnehmen würde? Da tobt ein Krieg, der kaum wen kümmert. 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht in der Region. Könnten die mich nicht gebrauchen? Ich bin gutmütig und aufgeschlossen. Aber es werden dort ungefähr 20 Sprachen gesprochen. Und der Spracherwerb im Erwachsenenalter ist sauschwer. Das gilt selbst für Deutsche. Auch wenn sie auf ihrer Finca auf Mallorca immer sagen: Wenn die hier nicht so gut Deutsch könnten, würde ich in nullkommanichts… 

 

In Sudan herrscht auch Fachkräftemangel. Ärztinnen, Ingenieure, Militärs, technisches Hilfswerk, Fundraiser gegen die Hungersnot, Politikerinnen mit Haltung. Was weiß ich. Eine Steuererklärung mit Elster könnte ich anbieten. Oder einen sehr guten Apfelkuchen. Kolleginnen von mir wären aus dem Stand in der Lage, einen Rosenmontagszug zu organisieren.

 

Aber ich muss ja auch gar nicht weg von hier. Hab Ein- und Auskommen, 6 Wochen Lohnfortzahlung bei krank. Die Sommer sind heißer als früher, aber es geht noch. Die Rente wird schmal, aber der Weg zum Tod vielleicht in Ungarn billiger.

 

Als Studentin bin ich Anfang der 80er Jahre mit dem Zug nach Spanien gefahren. Ein Auslandssemester in Zaragoza. Franco war noch nicht lange tot. Im Abteil wurde gekifft wie verrückt. Ich hatte Spanisch studiert und verstand kein Wort. Ich hatte ordentliche Papiere und genug Auslandsbafög in der Tasche. Meine Familie hätte mich notfalls über Nacht heimgeholt.

 

Aber es gab kein Hotel für mich. An jedem stand groß „Bomberos sólo“. Es war 2 Uhr früh, ich war 14 Stunden unterwegs und verstand kein Wort. Ich war auf der Hut und Hundertprozent sicher, dass alle diese Hotels nur für eine bestimmte Berufsgruppe reserviert waren: für „Bomberos“. Das Wort kannte ich nicht. Vielleicht ein Kongress. Google translate war noch nicht erfunden.

 

Der Taxifahrer hat mich in eine schlimme Absteige gebracht. Ohne Schild.

 

Es war der Hinweis für den Schlauchanschluss der Feuerwehr: „Bomberos sólo“

 

Foto: Zug Portugal, Susanne

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Nicolette (Freitag, 27 September 2024 20:35)

    Herzlicher Leserinnendank mit Schmunzeln und passender Denkfalte. Liebe Grüße!

  • #2

    Susanne (Freitag, 27 September 2024 21:34)

    Danke Dir! Ich vertue mich sehr oft bei der Einschätzung, ob und wie die Texte ankommen. Manche Leser:innen geben auch privat Rückmeldung. Ich freue mich jedenfalls immer über Resonanz. Sonst würde ich Tagebuch schreiben :) Liebe Grüße

  • #3

    Doreen (Freitag, 27 September 2024 21:38)

    … ein Text zum Zurücklehnen, nachsinnen und sich beruhigen, Freitagabend ohne Alkohol und „Unterhaltungsprogramm“, mit Tee von frischer Minze, Badewanne und einfach „Sein“ dürfen… wie luxuriös natürlich ��!
    Ganz liebe Grüße nach Köln vom Bodensee�