Ein guter Mann

 

Herr Täuber aus dem ersten Stock ist gestorben. Verstorben, sagt Frau Täuber. Sie hat recht, das klingt würdevoller. Verblichen sagt man heute nicht mehr. Was man nicht mehr sagt, klingt komischerweise lustig.

 

Der Pfarrer sagt bei der Beisetzung: Der Alex hat 40 Jahre bei 4711 gearbeitet und war ein guter Mann. Das habe ich nicht verstanden. Weil so ein Widerhall in der Kirche war. Vielleicht ist das Absicht und hat mit dem Jenseits zu tun. Mit dem befassen sich Gläubige manchmal. Sie sprechen mit den Heiligen und dem lieben Gott höchstpersönlich. Das kommt mir lästerlich vor. Wenigstens die Überirdischen sollte man in Ruhe ihre religiösen Sachen machen lassen und nicht immer reinquatschen.

 

Aber ich verstehe ja Viele und Vieles nicht. Erst vorgestern hab ich kapiert, dass wir mit einem Drittel Nichtgeimpfter nicht aus dem Corona-Mist rauskommen können. Rein virologisch-rechnerisch. Deshalb verstehe ich seit gestern die Impfunwilligen auch nicht mehr. Außerdem sind auf meiner Liste: jetzt und bald geschäftsführende Politiker:innen, das Fernsehprogramm und die Liebe zum Haustier. Statt, sagen wir mal, Mitgefühl mit Menschen, die man eiskalt an irgendeiner Grenze kampieren lässt.

 

Wahrscheinlich hätte ich Herrn Täuber auch nicht verstanden. Seine freundliche Art im Treppenhaus hat mir aber gefallen. Wie er wohl die Beisetzung fand in seinem kleinen Behälter? Aber er war ja auch in seiner früheren Form nicht groß. Die Kirche ist sehr schön und raffiniert gebaut, mit lebensfrohen Fenstern und diskreten Schubladen für die Toten. Ich denke, Herr Täuber hat gemurmelt: Jeder Jeck ist anders. Das gilt auch für Architekten.

 

Den Pfarrer habe ich zweitens nicht verstanden wegen der Maske. Sogar Frau Täuber hat sich resolut schluchzend umgesetzt. Drittens wurde unter dem Nasenmundschutz kölsch gesprochen. Da hilft nur Musik. Der alte Mann fürs Klavier kam zu spät. Ich tippe auf die Kölner Verkehrsbetriebe. Er hat sein Tablet mit den Noten ausgepackt und Kölsches gespielt.  

 

„Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr. „Ich bin ene kölsche Jung“ von Hans Süper. Dann noch ein kölsches Lied. Das kam mir aber nur bekannt vor. Und zum Schluss „Ave Maria“ von Johann Sebastian Bach.

 

Eine gute Mischung. Viele Lieder von der Erde und eine jenseitige Kleinigkeit. Ein Gedicht von Hüsch gab’s auch noch. Der Pfarrer sagt: ein protestantischer Christ vom Niederrhein. Davon habe ich aber gar nichts mitbekommen. Auch meine Übersetzerin aus der dritten Etage war mit Hüsch überfragt.

 

Ich könnte Frau Täuber nächstens fragen. Mache ich aber nicht. Ein paar Rätsel müssen bleiben. Frau Täuber sagt: Der Alex war ein guter Mann. Und gibt mir fünfzig Briefumschläge zurück. Jeden Monat kriegt sie einen mit dem Putzgeld von mir fürs Treppenhaus. „Die können Sie doch nochmal benutzen. Wär doch schade.“ Ich verstehe.

 

Niemals geht man so ganz www.youtube.com/watch?v=yOzqsMFKsMo

Ich bin ene kölsche Jung www.youtube.com/watch?v=iSW-hDVY24c

Ave Maria www.youtube.com/watch?v=PTdVDFooyOU

 

Foto Susanne

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Elaine (Sonntag, 21 November 2021 12:17)

    Da wird sich Frau D freuen, dass du ihr Mann so Kölsch verabschiedet hast.